Madagaskar



Bizarre Felsmassive, endlose Savannen, tropische Bergnebelwälder, Chamäleons, Lemuren, Krokodile ... Madagaskars Vielfalt ist einzigartig. Ich habe die exotische Insel vor der Ostküste Afrikas 2004 mit dem Rad erkundet. Absoluter Höhepunkt dieser Tour: eine mehrtägige "Famadihana" (Leichenwendfeier). Dabei werden die Verstorbenen aus ihren Grabhäusern geholt und zu ihren Familien zurück gebracht.




Meine Route: Von der Hauptstadt Antananarivo durch das Hochland in Richtung Süden, dann durch die Bergnebelwälder des Ostens nach Manakara hinunter. Mit der Eisenbahn wieder zurück ins Hochland nach Fianarantsoa und von dort über den Isalo Nationalpark an die Westküste. Von Tulear mit dem Flugzeug zurück nach Antananarivo und von dort noch einmal mit dem Auto in Richtung Ostküste. Strecke mit dem Rad: 1.134 km. Höhenmeter: 12.607 m.



Antananrivo, von den Einheimischen kurz Tana genannt: mit 1,8 Millionen Einwohnern nicht nur die größte Stadt, sondern auch die Hauptstadt des Landes. Hier der Blick von der Oberstadt auf das Fußballstadion und den Lac Anosy.


In den Elendsvierteln am Rande der Stadt ist auf Betreiben des argentinischen Missionars Pedro Opeka ein Siedlungsgebiet für die Ärmsten der Armen entstanden. Es heißt "Akamasoa" (Gute Freunde) und besteht mittlerweile aus über 3.000 Häusern, sieben Schulen, einem Krankenhaus mit 40 Ärzten und einer Kirche.


Ich habe das Glück, an einem Gottesdienst in der Kirche teilnehmen zu können. Allein der Chor (hinten rechts) besteht aus 250 Sängerinnen und Sängern. Insgesamt ist die Kirche mit fast 3.000 Menschen gefüllt. "Père Pedro" ist mittlerweile bekannter (und vor allem beliebter) als der Staatspräsident.


Bei bestem Wetter mache ich mich auf den Weg. Das Thermometer zeigt 22 Grad an.  Die Nationalstraße 7 ist zunächst noch gut asphaltiert. Der Verkehr lässt schon nach wenigen Kilometern schlagartig nach.

Im Hochland leben vor allem die Merina, aus Indonesien eingewanderte Reisbauern. Ihre ockerfarbenen Gehöfte und die kunstvoll angelegten Reisterrassen fügen sich wunderbar in die Landschaft ein.


Auf einmal kommen mir viele festlich gekleidete Menschen entgegen. Es ist Sonntag, man geht zur Kirche und nimmt dafür zum Teil kilometerlange Märsche auf sich. Etwa 50 Prozent der Madagassen sind Christen, pflegen zum Teil aber auch noch den traditionellen Ahnenkult - wie ich bereits am nächsten Tag erfahren soll ...



Ich bin zu Gast bei einer "Famadihana". Eine Familie hat mich eingeladen, zusammen mit etwa 200 anderen Gästen. An dem Grabhaus hinten links ist zu erkennen, dass es sich um eine christliche Familie handelt. Dennoch feiert sie etwa alle fünf Jahre die sog. "Leichenwendfeier".



Wird das Fest in seiner Vollform gefeiert, werden die in dem Grabhaus liegenden Gebeine für etwa eine Woche zurück in das Haus der Familie getragen. Hier ist das Ritual auf einen Tag verkürzt. Bevor das Grabhaus geöffnet wird, werden die Leichentücher präsentiert, mit denen die Verstorbenen am Ende der Zeremonie neu beigesetzt werden. Dabei wird ausführlich an die Lebensgeschichte jedes einzelnen Verstorbenen erinnert.


Dann der entscheidende Augenblick: das Grabhaus wird geöffnet. Die Eingangstür wird nach jeder Famadihana wieder fest vermauert, so dass sie mit Hammer und Meißel aufgeschlagen werden muss. Da ich mittlerweile zum "Ehrengast" avanciert bin, darf ich als erster das Grabhaus betreten. Ein unbeschreiblicher Geruch menschlicher Verwesung strömt mir entgegen ...


Im Inneren des kleinen Familiengrabhauses liegen insgesamt sechs Leichname. Ihre Verwesung ist unterschiedlich fortgeschritten, aber jeder Leichnam ist sorgsam in Tücher gehüllt.


Mit Hilfe von Bastmatten werden die Leichname aus dem Grabhaus geholt. Dann setzt sich eine feierliche Prozession in Bewegung. Es sind Halleluja-Rufe zu hören. Jeder versucht die Verstorbenen zu berühren. "Wir sind so glücklich, dass wir unsere Ahnen wieder bei uns haben!", erläutert mir mein Gastgeber.


Nach einer Weile werden die Leichname auf dem Boden abgelegt. Es folgen diverse Reinigungs- und Segensrituale, bei denen ich als Ehrengast auch wieder mittun muss. Zum Beispiel: ein Glas Rum trinken, um die Kehle zu reinigen; und dann die Leichname mit Rum bespucken (so erklären sich die vielen feuchten Flecken auf dem Leichentuch). Nach einigen Stunden werden die Leichname in frische Tücher gehüllt und wieder ins Grabhaus zurück gebracht.


Abschied vom engsten Familienkreis. Zwei Nächte habe ich auf dem Gehöft verbracht - ohne auch nur eine Minute zu schlafen. Denn vor und nach der Famadihana wird kräftig gefeiert und getanzt. Man sieht es mir an.


Die nächste Begegnung. Schwester Margherita (mitte) leitet die "Maison de la Charitè" ein Haus für schwerst-/mehrfachbehinderte Menschen in Ambositra. Don Paolo (links) hat sie dabei jahrelang unterstützt, ist aber leider 2007 an Krebs gestorben. Heute wird das Haus mehr und mehr von Einheimischen geführt.


Die Bewohner der "Maison de la Charitè" gehen mir nicht mehr aus dem Sinn. Seit meiner Rückkehr aus Madagaskar sammle ich Spenden für sie. Vor allem der Erlös der Radreisevorträge kommt ihnen komplett zugute.


Südlich von Ambositra wird die Landschaft schöner und schöner ...


Ein Katta lugt mir erstaunt entgegen. Kattas sind Halbaffen und gehören zur Gruppe der Lemuren. Mit etwas Vorsicht kann man sich ihnen bis auf wenige Meter nähern.


Ich biege in Richtung Ostküste ab. An die Stelle der Hochlandsavanne treten Bergnebelwälder. Das Thermometer klettert auf 30 Grad, die Luftfeuchtigkeit auf 98 Prozent. Ein gutes Stück ist die Straße noch asphaltiert ...


... dann aber sieht es so aus. Für 20 Kilometer zwar "nur", aber mit denen bin ich fast einen ganzen Tag beschäftigt. In der Regenzeit ist die Piste wochenlang unpassierbar.


Der Lohn der Mühe: ein Goldener Bambuslemur. Ich erspähe ihn auf einer Wanderung durch den Ranomafana Nationalpark. Erst 1987 von dem Bochumer Biologen Bernhard Meier entdeckt, ist er bereits so selten geworden, dass man sein Aussterben befürchten muss. Ich habe also großes Glück, ihn überhaupt vor die Augen zu bekommen.


Ein anderes Tier wird mir von meinem Guide etwas näher gebracht: ein Chamäleon.


Der Bahnhof von Manakara. Ich habe die Ostküste erreicht und fahre mit zum Zug zurück ins Hochland, nach Fianarantsoa. Für die 130 km lange Strecke braucht der Zug gut 12 Stunden - inclusive zweier Entgleisungen.


Es gilt Proviant aufzunehmen. Denn südlich von Fianarantsoa wird Madagaskar einsam ...


... aber auch wunderschön.

Es ist das Stammesgebiet der Bara, die vor allem von der Zebuzucht leben. Ab und zu kommen sie mir mit ihren Herden entgegen.


Auch die Bara pflegen einen intensiven Ahnenkult. Ihre Grabhäuser unterscheiden sich deutlich von denen der Merina, dienen sie doch auch als Grabstätte für die gesamte Zebuherde des Verstorbenen. Sobald jemand stirbt, werden auch seine Rinder geötet und gemeinsam mit ihm beigesetzt. Je mehr Zebuhörner auf einem Grabhaus liegen, umso wohlhabender waren die Verstorbenen. Für jeden von ihnen wird eine reich verzierte hölzerne Stele errichtet.


Ich nähere mich dem Isalo Nationalpark, der mit bizarren Felsformationen aufwartet. Es bleibt einsam.


Mitten im Nirgendwo: das riesige Hüttendorf Ilakaka. Mitte der 90er Jahre sind hier Saphire gefunden worden. Binnen kürzester Zeit ist deshalb die Einwohnerzahl auf 10.000 hochgeschnellt. Viele, die hierher kommen, haben alles hinter sich gelassen und setzen nun alles auf den großen Fund.


Kurz vor Tulear treffe ich einen anderen Radfahrer, den einzigen auf der gesamten Tour: Frank aus Belgien. Gemeinsam nehmen wir die letzten Kilometer unter die Reifen.


Tulear. Zu deutsch: "Wo man gut ankern kann." Hier geht meine erste große Radreise durch ein afrikanisches Land zuende. Vor allem die Freundlichkeit der Menschen und ihre Musik werden mir unvergesslich bleiben.

1 Kommentar:

  1. Dieser Vortrag hat mich sehr beeindruckt. Einmal wegen Ihres Berichtes über das Maison de la charite und zum anderen wegen des Leichenwendfestes. Die Rückkehr der Verstorbenen zu ihren Familien finde ich berührend und irgendwie tröstlich (auch wenn es nur die "Hülle" des Menschen ist).
    Danke, fass der Bericht auf dieser Seite nochmal nachgelesen werden kann.

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